Predigt

Spätsommer 2016

Der Herr ist mein Hirte

Psalm 23

Der HERR ist mein Hirte,
mir wird nichts mangeln.
Er weidet mich auf einer grünen Aue
und führet mich zum frischen Wasser.
Er erquicket meine Seele.
Er führet mich auf rechter Straße
um seines Namens willen.
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,
fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir,
dein Stecken und Stab trösten mich.
Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde.
Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein.
Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang,
und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar.

Liebe Gemeinde,

um die Größe des 23. Psalms zu würdigen, greife ich zurück auf das Zitat eines bedeutenden Philo­sophen, auf Immanuel Kant. Er konnte den Menschen als „Wesen eigenen Rechts“ proklamieren und hat doch gewusst: „Alle Bücher, die ich gelesen habe, haben mir diesen Trost nicht gegeben, den mir dieses Wort der Bibel gab!“

Irgendetwas liegt in diesem Psalm, was Menschen tief beeindruckt und in ihnen intuitiv das Gefühl von Geborgen­heit auslöst. Brautpaare, Taufeltern, Konfirmanden, Hinterbliebene, Menschen in Not und gerade auch Menschen, die mit der Kirche wenig zu tun haben, greifen erstaunlich oft auf das Bild vom guten Hirten zurück. Kaum ein anderes Bibelwort ist so bekannt (vielleicht noch die Zehn Gebote). Und es gibt vielleicht kein anderes, das so häufig am Abend eines Tages, am Abend des Lebens oder vor einer Operation gebetet wird. Und selbst in Konzentrationslagern, so wissen wir, haben Menschen gesagt: „Der Herr ist mein Hirte!“ „Du bist bei mir!“

Ein solches Vertrauen verwundert. Das Leben weist doch offenbar in eine andere Richtung. Ich erinnere mich an eine Tagesschicht mit einem Streifenwagen der Wuppertaler Polizei, bei der ich mitgefahren bin. Was kam da alles auf die jungen Beamtinnen und Beamten zu! Eheprobleme, Zerwürfnisse, eine Schlägerei, sogar ein Über­fall. Die Fahrt bestätigte die Vermutung, dass doch verhältnismäßig viele Menschen keinerlei Geborgenheitserfahrungen machen. Wie sollen sie da einem guten Hirten im Himmel ver­trauen? Was würden wir noch an Unbehaustheit hinter unseren Fassaden entdecken, könnten wir durch sie hindurch in die Zimmer sehen? Oder auf Weltsicht gesehen: eigentlich können doch nur wenige sagen: „Mir mangelt es an nichts!“ Wie viele staubige Flüchtlingsstraßen oder wellige Wasserwege sind keine „rech­ten“ Straßen?! Wieviel Leid. Wieviel Not. Wieviel Tod.

Und doch betet so mancher feststellend: „Der Herr ist mein Hirte!“ – Warum?
Ich denke, dass es daran liegt, dass, wenn wir, den Psalm 23 sprechen, die Authentizität derer spüren, die ihn ursprünglich gebetet haben.
Die Psalmbeter waren Men­schen, denen Leid nicht fremd war. Sie hatten manche Bürde zu tragen. Ihr Bekenntnis ist keines bei Sonnenschein: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal!“ Die „Täler der Todesschatten“, wie man korrekt naxh der hebräischen Bibel sagen müsste, kannten sie. Und die Drohung durch den Kriegsfeind hatten sie erlebt. Vis à vis zu ihm hatten sie gestanden. Ihnen war also die ganze Wirklichkeit unseres Daseins vertraut. Und mit ihren Bedrohungen des Lebens können wir unsere eigenen Erfahrungen in Zusammenhang bringen und sie mit ihnen verschmelzen.

Aber das allein ist es nicht! Sondern wir hören die Psalmbeter auch als Menschen mit einem lebenserfahrenen Glauben. Sie hatten bekommen, was sie zum Leben brauchten. In der Erfahrung von Schlimmem, ja Unabänderli­chem hatten sie die tiefer gehende Erfahrung gemacht, dass sie nicht alleine dastanden. Das erst macht die ganze Tiefe ihrer Erfahrung aus, dass sie in ihrem Schicksal Gott fanden, der sie stärkte, und sie sich geborgen wussten.
Dieses Erleben mussten sie weitergeben. Unbedingt! Es wird auch anderen weiterhelfen können, dachten sie sich. Und so griffen sie die sich in ihrer Welt anbietenden Bilder auf:

Gehört haben wir schon in der Taufansprache vom „Feldkoch“, der vor den Augen des Feindes die Kämpfenden stärkt – „Du bereitest vor mir einen Tisch im Angessicht meiner Feinde.“ Wir haben gehört vom Propheten, der Menschen durch Salbung zum König inauguriert, vom Gelage beim Krönungsfest, wenn die Becher voll eingeschenkt werden, vom Haus des Herrn. –

Der Psalm beginnt aber mit dem Bild vom „Herrn“! Nicht irgendein „Herr“ ist gemeint, sondern „Gott, der Herr“, und damit wird der Psalmhörer vor die höchste Autorität, die Autorität Gottes gestellt. Gott – er ist die Autorität, der ein Mensch nicht widerstehen kann und sollte.

Noch im gleichen Satz folgt das berühmte vom guten Hirten.
Was tut dieser?
Er setzt etwas gegen den Mangel! Und so weiß der Psalmbeter: „Mir wird nichts mangeln!“

Dreierlei Mängeln hilft der gute Hirte auf.
„Er weidet mich auf einer grünen Aue.“ – Da geht es um’s Essen, um die Grundnahrung, um auskömmliches, sättigendes Essen.
„Und führet mich zum frischen Wasser.“ Wir stellen uns die Bäche und Brunnen Palästinas vor. Wo sie waren, da gab es das lebensnotwendige Wasser. Da gab es hinreichend und auskömmlich Wasser zu trinken.
Aber auch dem Mangel der Seele wehrt der gute Hirte: „Er erquicket meine Seele.“
Rundum also tut der gute Hirte etwas gegen jeglichen Mangel!
Und was noch?
Er schützt mit Stecken und Stab.

„Und ob ich schon wanderte im finstern Tal!“ Wie in der Taufansprache schon gesagt: Es geht um die „Täler der Todesschatten“.
Den Satz muss ich wegen seiner besonderen Bedeutung noch einmal nennen!
Denn auch im Tod gilt: Da bin ich bei Dir, sagt Gott!

Also: Entmutigte, vor der Resignation stehende, angefochtene Menschen sind die Adressaten der Psalmbeter. Sie aufzurichten, ihnen den Rücken zu stärken, ihnen Boden unter ihre Füße zu geben, hat sie zur Formulierung unvergänglicher Worte gebracht. Hoffnung wollen sie wecken und stark machen. Das aber können sie nicht aus sich selbst heraus, sondern allein durch den Hinweis auf Gott. Sie wissen aus eigener Erfahrung, dass er möchte, dass allen Menschen geholfen werde. Auch uns. –

Und nun stellt sich die Frage nach unseren Resignationen, nach den Situationen, in denen wir Stärkung benötigen, in denen wir alleine dastehen, in denen wir meinen, mit Dingen nicht klar zu kommen … die Konfis … die Familien … die Älteren unter uns …

Wir wollen einen Augenblick in der Stille den guten Hirten ausfsuchen …

In diese Stille hinein spreche ich noch einmal diesen Psalm.

Der HERR ist mein Hirte,
mir wird nichts mangeln.
Er weidet mich auf einer grünen Aue
und führet mich zum frischen Wasser.
Er erquicket meine Seele.
Er führet mich auf rechter Straße
um seines Namens willen.
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,
fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir,
dein Stecken und Stab trösten mich.
Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde.
Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein.
Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang,
und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.