Predigt

Mai 2017

„Eure Traurigkeit soll zur Freude werden“

Johannes 16,16.20-23a

16 Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen.
20 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll zur Freude werden.
21 Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist.
22 Auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.
23 Und an jenem Tage werdet ihr mich nichts fragen.

Liebe Gemeinde,

gerade haben wir zwei noch sehr kleine Kinder getauft – ein bzw. ein halbes Jahr alt.
Wir wissen, was es heißt, ein Kind zu gebären, die Mütter sowieso, und die Väter leiden mit ihren Frauen ja mit.
Persönlich möchte ich anmerken: Ich war, als ich zum ersten Mal Vater wurde, sehr erstaunt, wie schnell meine Frau, nachdem sie so Vieles durchgemacht hatte, und wir ja fleißig mit wickeln beschäftigt waren, sagte, dass sie sich durchaus vorstellen könne, ein weiteres Kind zu bekommen! Da war der Schmerz bereits vergessen.
Es zählt – bei aller Plage und Mühe und allen Schmerzen und Ängsten -, dass das Kind da ist! Diese Vorstellung, nicht der Schmerz, trägt weiter, motiviert, bringt Freude und lässt Phantasien über ein gelungenes Familienleben aufblühen. –
Jesus gebraucht diese tiefe Lebenserfahrung als einen Vergleich. Jesus will in den Jüngern, denen er seinen Abschied ankündigt, Trost und Freude auslösen. Die jetzige Traurigkeit, der Schmerz, wird sich in Freude verwandeln, sagt er ihnen. „Eine kleine Weile, spürt Ihr den Schmerz von Trauer und Wehmut, weil Ihr mich nicht seht; dann aber, ebenfalls nach einer kleinen Weile, werdet Ihr mich wieder sehen. Dann werdet Ihr, wie die Mutter, die geboren hat, nicht mehr an die jetzige Niedergeschlagenheit denken.“


Liebe Gemeinde, der Evangelist Johannes ist nun kein Historiker, der sich darauf beschränkt, eine Abschiedsszene aus dem Leben Jesu vor dessen Tod möglichst korrekt wiederzugeben. Sondern er versucht etwa 50 Jahre nach Jesu Tod, Auferstehung und Himmelfahrt all diejenigen zu erreichen,
die wie die Jünger traurig sind,
die die Unmittelbarkeit der Anwesenheit Jesu vermissen,
die aus den unterschiedlichsten Gründen Jesu Nähe suchen,
die Gemeinde Jesu, die in harter Zeit aus dem Bewusstsein seiner Gegenwart lebt,
somit auch uns in unseren Schwierigkeiten, Problemen, Schmerzen, Nichtzurechtkommen.
Johannes meint: Jesus sagt allen: „Jetzt habt Ihr Traurigkeit, aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.!“


„Jetzt habt Ihr Traurigkeit.“


Nun empfinden wir nicht genauso wie die Jünger Abschiedstrauer oder Trennungsschmerz und unterliegen wohl nicht unmittelbar einer Traurigkeit, dass Jesus leiblich nicht unter uns ist.
Oder doch!? Nur dass wir es so nicht benennen würden? Ich glaube doch!
Wir haben z.B. viel Unverständnis über so viele Ungerechtigkeit und Widerwärtigkeit in unserer Zeit.
Wir empfinden Wut über die, die die Menschen und diese Welt tyrannisieren.
Wir hegen den Wunsch, die Welt möge doch gnädiger, weniger hart, dornig und steinig sein.
Oder z.B. Unsere Selbsterfahrung ist immer wieder einmal die, wie Paulus sie ausdrückt: „Ich tue nicht, was ich will; sondern was ich hasse, das tue ich.“ (Römer 7,15) Wir tun etwas anderes, als das, was wir eigentlich tun wollten und richtig wäre. Wir verfehlen uns immer wieder.
Oder z.B. wir fühlen uns im Für und Wider der Argumente verloren.
Oder wir lassen den Kopf hängen, spüren manches Mal Ausweglosigkeit, spüren, wie Kraft zu Ende geht – bei uns selbst, bei anderen.
Wir spüren immer wieder, dass der Welt, ja uns persönlich etwas fehlt.
Überall da fehlt uns etwas, wo die Traurigkeit der Unabänderlichkeit uns überfällt. Überall da fehlt ER uns. Wir sehen ihn nicht. Der Schmerz drückt und lässt wenig Hoffnung – wenn überhaupt – zu. Es ist nicht anders als bei den Jüngern damals.
So ist das, sagt Jesus. So kündigt er es an: „Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein.“


Aber dieser Realismus Jesu ist nun nicht das Wichtigste, was Jesus sagt. Etwas anderes ist will er sagen.
Ohne das Trauma des Abschieds,
ohne die Erfahrungen der Ferne zu verschweigen,
ohne Weinen und Klagen im Kontrast zu mancher Häme der Welt zu besänftigen
spricht er sehr unmittelbar von Freude,
von der Freude, die all das überwiegt!
Ja, er spricht die Freude den Jüngern zu; er spricht sie auch uns zu! Das ist seine eigentliche Botschaft und Zusage!
„Ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.“
Liebe Gemeinde, das ist die Perspektive, die Jesus hier aufmacht: Freude statt Leid. Behagen statt Unbehagen. Zuversicht statt Hoffnungslosigkeit. Lachen statt Weinen. Geborgenheit statt Angst. –

Es gibt mun einen Unterschied zwischen den Jüngern damals und uns heute. Als Jesus seine Abschiedsworte gesagt hat, da stand noch alles vor ihm und den Jüngern: das Kreuz, die Auferstehung, der Tod und das wiedererbrachte Leben. Wir aber wissen es als geschehen, ja als für uns geschehen! Wir wissen schon, was von Jesus als letzter Satz in diesem 16. Kapitel des Johannesevangelium überliefert ist, nämlich dass er gesagt hat: „In der Welt habt Ihr Angst, aber siehe ich habe die Welt überwunden!“ Das ist ein Satz, den man nur verstehen kann, wenn es Ostern geworden ist, wenn der Grund zur Freude gelegt ist, wenn Zukunft und Perspektive für eine in Schmerzen sich windende Welt eröffnet worden ist, wenn wir von Ostern her Jesu Worte hören: „Ich lebe und Ihr sollt auch leben!“


Liebe Gemeinde, die Freude hängt ganz an Jesus, der den Grund zu dieser tiefen Lebensfreude gelegt hat.
„Er ist erstanden“, haben wir zu Ostern gesungen. Er lebt. Er ist bei uns. Welch ein Trost!
Ja gewiss: Nicht so unmittelbar, so anfassbar wie damals bei den Jüngern, ist er nicht dabei. Sondern anders.
Nämlich mit seinem Geist der Liebe, der Versöhnung, des Friedens, der Gewissheit, des Trostes, der Kraft, die in den Schwachen mächtig ist, ist er dabei.
Mit dem „Tröster“, mit dem „Parakleten“. In den Kapiteln 14, 15 und 16 des Johannesevangelium wird beschrieben, wie Jesus den Geist Gottes immer wieder ankündigt.
Joh 14,16 Und ich will den Vater bitten und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit.
Joh 14,26 Aber der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.
Joh 15,26 Wenn aber der Tröster kommen wird, den ich euch senden werde vom Vater, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, der wird Zeugnis geben von mir.
Mit diesem Geist ist er bei uns, tröstet er uns, steht er uns bei, gibt er uns Hilfe, macht uns Mut und schenkt er uns Geborgenheit und gibt er uns Gewissheit, dass die Welt nicht das Jammertal bleiben wird, was es für so viele ist. Daran können, dürfen und sollen wir uns festmachen! Lassen wir den Geist Jesu bei uns und in uns wehen.
Er gibt uns und hilft uns, die Osterfreude mit in unser Leben zu nehmen, in den Alltag, und das heißt auch und gerade: in das tägliche Kämpfen, Erdulden, Erleiden.
Da wird die Freude konkret, wo man sie in aller Regel nicht vermuten würde. Und doch haben schon so viele sie erfahren.


Schluss
Liebe Gemeinde, wodurch lassen wir unseren Alltag bestimmen? Das ist die Frage, vor die uns unser Predigttext, vor die uns Jesu Worte stellen. Ist es eine unveränderliche, in Vielem hoffnungslose und trostlose und in ihrer Eigendynamik gefangene Welt? Oder ist es eine ganz tiefe Freude, die in uns in die Zukunft trägt, die den Schmerz wohl zulässt, ja, die gerade aus Schmerz geboren wird?
Geistesgegenwärtige Christen sind beschenkt von der Osterfreude und nehmen das gute Ende mit in die Mitte ihres Lebens!
Amen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.