Predigt

Januar 2011, Ökumenischer Gottesdienst

Die Seligpreisungen

Matthäus 5,1-12a (Einheitsüberstzung)

1 Als Jesus die vielen Menschen sah, stieg er auf den Berg. Er setzte sich und seine Jünger traten zu ihm.
2 Und er öffnete seinen Mund, er lehrte sie und sprach: 
Die Seligpreisungen
3 Selig, die arm sind vor Gott; / denn ihnen gehört das Himmelreich.
4 Selig die Trauernden; / denn sie werden getröstet werden.
5 Selig die Sanftmütigen; / denn sie werden das Land erben.
6 Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; / denn sie werden gesättigt werden.
7 Selig die Barmherzigen; / denn sie werden Erbarmen finden.
8 Selig, die rein sind im Herzen; / denn sie werden Gott schauen.
9 Selig, die Frieden stiften; / denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.
10 Selig, die verfolgt werden um der Gerechtigkeit willen; / denn ihnen gehört das Himmelreich.
11 Selig seid ihr, wenn man euch schmäht und verfolgt und alles Böse über euch redet um meinetwillen.
12 Freut euch und jubelt: Denn euer Lohn wird groß sein im Himmel.

Liebe Gemeinde!

stellen wir uns die Menschenmenge auf dem Berg der Seligpreisungen am Nordufer des Sees Genezareth vor! Zu welchen Menschen spricht Jesus? –
Es sind Angehörige der breitesten Gesellschaftsschicht, die es damals gab: einer Mischung von Menschen, die man als die „Armen“ bezeichnen kann!
Also:
• Menschen am Rande der oder schon auf der Verliererseite des Lebens,
• die sog. „kleinen Leute“, Tagelöhner vor allem, vielleicht Handwerker, Menschen, die ein eher tristes und von Existenzängsten bedrohtes Leben führten,
• Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen – Krankheit, Familienzwiste, Religion, politischer Aktivität – Ausgrenzung erlebten und geächtet waren
• Menschen, die von der Bildung und Machtausübung ausgeschlossen waren,
• Menschen, die vom politischen System benachteiligt waren, weil ihnen die Macht zur Lobby fehlte,
• die Angst hatten und Abscheu vor den Machenschaften der Besatzermacht.
So in etwa muss die Beschreibung aussehen von denen, die damals im gesellschaftlichen Leben die schlechten Karten hatten.
Was sie einte?
Nein, nicht ihre soziale Situation!

Nicht, dass sie alles Menschen waren, die spürten, dass die Gesetzlichkeiten der Welt eine harte Welt ohne Liebe und Zuwendung, ohne Gemeinschaft, eine entzweite Gesellschaft produzierte, die für sie, die Schwächeren, ständig in die Sackgasse führte.

Es einte sie nicht, dass sie an dieser Art leben zu müssen, litten, zerbrachen an diesem Leben, das ihnen viele Striche durch die Rechnungen gemacht hatte, das sie oft oder stets mit leeren Händen und verwehten Wünschen hatte stehen lassen.

Was sie einte:
dass sie in diesem Jesus jemanden fanden, der sich ihnen widmete, der sich ihrer annahm, nicht dicht machte, sobald sie in der Nähe waren

dass sie sich auf einmal getragen wussten! Getragen von einem Mann, zu dem sie nur kommen mussten, um den sie sich nur scharen mussten, dessen Nähe mehr Geborgenheit schenkte als ein festes Haus, eine Familie und gute Freunde.
Getragen von einem Mann, dem sie vertrauen und auf ihn hoffen konnten und ihr Leben bei ihm geborgen wussten.

Sie erfuhren in der Nähe Jesu – das ist das Entscheidende – jetzt schon Gottes Zukunft, und dass diese Zukunft ihnen, gerade ihnen, zugesagt wurde.
Sie spürten durch Jesus Worte: Gott ist auf unserer Seite und er wird uns Hoffnungslosen Zukunft schenken!

So spürten sie endlich wieder Boden unter den Füßen und dass auf diesem festen Boden ihre vom Leben gekrümmten Rücken aufgerichtet wurden, wie darin Gottes Zukunft schon an ihnen Wirklichkeit wurde. –

Liebe Gemeinde, wenn wir uns die damalige Situation vor Augen malen, hat das etwas Distanzierendes. Das sind wir nicht. Jedenfalls die wenigsten auf den Elberfelder Südhöhen. Zu den „Armen“ in der Gesellschaft, um dieses Wort als Sammelbegriff noch einmal zu nehmen, gehören wir nicht. Wir leben in der Regel in materieller Sicherheit. Die meisten Statussymbole kann fast jede/r unter uns sein eigen nennen und wir leben selbst dann, wenn es uns wirtschaftlich schlecht geht, doch insoweit abgesichert, dass der Staat uns unter die Arme greift. Wer einmal über unsere Staatsgrenzen hinaus geblickt hat, weiß, dass jenseits aller gewiss zu führenden Debatten um Höhe und Art von Zuwendungen, ein verlässliches Sozialsystem wertzuschätzen ist.
Aber wir empfinden wahrscheinlich trotzdem nicht so ganz anders wie die Menschen damals. Die Rede von der reichen Gesellschaft, so stimmig wie sie ist, ist auch eine platte Attitüde, die die Wirklichkeit des einzelnen nicht beachtet.

Wenn ich mir die einzelnen Seligpreisungen durch den Kopf gehen lasse und sie mit heutigen Lebenswirklichkeiten vergleiche, fallen mir doch überraschend viele Beispiele ein, wo ich sagen möchte: Doch auch von uns könnten viele auf dem Berg der Seligpreisungen Kraft empfangen haben!
Und ich hoffe, dass sie dies heute bei dem Auferstandenen tun – nicht auf dem Berg damals, sondern vielleicht im Gebet, vielleicht im Gottesdienst, vielleicht in einer seelsorgerlichen Beziehung.

Ich will nicht alle Seligpreisungen durch gehen, aber lassen Sie mich Beispiele nennen:

Nehmen wir z.B. die zweite Seligpreisung:

Selig die Trauernden; / denn sie werden getröstet werden.

(so: EÜ – Luther: „Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.“ Ich nehme die Übersetzung der EÜ!)

Die Trauernden. Auch hier kann man zunächst feststellen: Sie bekommen Trost. Stirbt ein Mensch, so sind für die Witwe, den Witwer, die Kinder Angehörige da, auch Nachbarn und Freunde. Die kümmern sich oft rührend um sie. Und wenn wir von anderen gestützt werden, mitgetragen werden und uns auch ganz konkret geholfen wird, ist dies überhaupt nicht zu unterschätzen oder gar klein zu reden.
Und trotzdem weiß ich, dass bei echter Trauer Wehmut bleibt, über lange Zeit, und manchmal gar nicht vergeht. Wirklich Trauernde sind keine Menschen, bei denen etwas schnell geht oder bald vorüber ist, sondern bei denen die Zeiträume lang und unüberschaubar sind. Und doch spüren sie in zunehmenden Maß – oft schon nach wenigen Wochen -, wie es andere stören kann, wenn sie immer noch mit versteinerter Miene da sitzen oder keine Freude zeigen oder auf einmal Tränen gerollt kommen. Und dann hören sie dies auch nach einer gewissen Zeit. Da werden – manchmal sogar ziemlich schroff – Grenzen gesetzt. `Verstehe uns doch! Wir wollen deine ständigen Gedanken an früher nicht mehr hören. Wir leben jetzt. Das Leben geht weiter. Du musst einfach wieder am Leben teilnehmen.´ So richtig solche Sätze sind und so gut sie gemeint sind, sie helfen selten wirklich weiter. Eher im Gegenteil.

„Selig die Trauernden!“ sagt Jesus. Das müssen wir uns erst einmal klar machen: Er belässt sie in ihrer Trauer. Er sagt nicht: Du darfst und sollst nicht trauern. Er gibt keine Verhaltentipps! Er hat kein
Rezept zum Wohlleben! Und ich möchte ergänzen: Gut so! Denn in all dem Schmerz liegt doch auch vieles an Erinnerung, an Nacherleben und Nachempfinden von Früherem. Auch Nachempfinden von Glück, von Lebensinhalt und Lebenssinn.

Aber dabei bleibt Jesus nicht stehen, sondern verspricht: „Denn sie werden getröstet werden.“
Welcher Zuspruch Jesu! In ihre Trauer hinein spricht er vom Reich Gottes und er lässt sie in das Reich Gottes eintreten. Er spricht die Menschen selig, weil er sieht, dass sie sich auf Gott verlassen wollen. Einen tieferen Trost kann es nicht geben.

Dass darüber auch jetziger Lebensmut wieder wächst, versteht sich wohl von selbst.

Selig, die keine Gewalt anwenden; / denn sie werden das Land erben.

(So EÜ – Luther: „Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.“)

Gewalt, Aufbegehren mit Macht. Gewaltandrohung und –ausübung. All das ist auch uns nicht fremd. Auch wenn wir nicht gegen die römische Besatzungsmacht opponieren. Im Kleinen tun wir das alle mehr oder weniger.
Und es kann keine Frage sein, dass Gewaltausübung auch notwendig ist. Wenn wir an den gestrigen Tag denken. Sollen denn die Neonazis machen können, was sie wollen? Soll sich denn einfach nur der Stärkere durchsetzen oder auch der, der nicht die Sprache der Gewalt durchsetzungsfähig sprechen kann, leben können?

Und doch ist das im Blick auf das Reich Gottes, das Jesus in der Bergpredigt verkündigt, etwas Vorläufiges. Von gewaltsamer Eindämmung von Gewalt kann man sich nicht das versprechen, was Menschen selig macht.

Die Zukunft ist den Sanftmütigen, den Gewaltlosen verheißen. Und die, die heute schon mit Martin Luther King, den Traum vom nonviolent Zusammenleben der Menschen träumen, haben schon Teil an diesem Reich Gottes und verhalten sich, so weit es eben geht, auch nach seinem Maßstab. Sie nehmen es sogar mal in Kauf, wenn sie als die Sensiblen an die Wand gedrückt werden, wenn gegen sie die Ellbogen ausgefahren werden.

Als Martin Luther King seinen Traum träumte und für diesen sogar in den Tod ging, hätte man jeden für verrückt erklärt, dass sich dieser Traum für viele einmal ein klein wenig in der Form verwirklichen würde, dass es wenige Jahrzehnte später einen schwarzen amerikanischen Präsidenten geben würde.

Als Deutschland aufstieg aus den Ruinen des zweiten Weltkrieges und das Territorium von zwei sich mit Nuklearwaffen lebensbedrohenden politischen Blocks bedroht wurde, hat doch über Jahrzehnte niemand ernsthaft geglaubt, dass es einmal in der Nikolaikirche und anderswo Friedensgebete geben würde! Und die auch noch erhört werden würde!

Der Segen und die Zukunft liegt in der Sanftmut, in der Demut, in der Gewaltlosigkeit, so gewiss sicherlich in der unerlösten Welt eine Eindämmung der Gewalt erforderlich ist. Ich will etwas Hoffnungsvolles anfügen, auch wenn wir selbst nicht die direkt Betroffenen sind.

Am 1. Januar habe ich im Gottesdienst der nicht so sehr zahlreich versammelten Gemeinde in der Johanneskirche einen Beitrag des Heutejournals vom Herbst letzten Jahres gezeigt.
Der kleine Film zeigte jüdische Kinder, die spontan an einem Fußballspiel von palästinensischen Kindern teilnehmen. Die israelischen Sicherheitskräfte wollen das noch verhindern. Die Kinder lassen sich aber nicht abhalten und die Soldaten schauen einfach gebannt zu, was die Kinder da mit dem Ball zaubern.

Wie durch Geisterhand, besser durch Gottes Hand wurden in einem Moment Jahrzehnte alte Mauern des Hasses eingerissen, Mauern des Hasses zwischen Palästinensern und Israelis auf der Westbank in Hebron.

Selig ist die Unbedarftheit der Kinder und Jugendlichen! –

Liebe Gemeinde, wir können alle Seligpreisungen durchgehen. Wenn wir das ernsthaft tun, werden wir uns immer und immer wieder finden und – uns selig preisen lassen, weil wir uns mit dem, was uns da bewegt, gut aufgehoben wissen können und uns der Trost weiter nach vorne trägt!

Selig, die arm sind vor Gott; / denn ihnen gehört das Himmelreich.
Wie arm sind wir in geistlicher Hinsicht so oft, wir uns gerne so pragmatisch verstehende Menschen?! Darunter müssen wir nicht leiden, weil wir meinen, Gott nicht genügen zu können. Wir dürfen uns gerne bessern, gewiss! Er rechtfertigt uns, ja hat alles auf sich genommen, dass wir zu ihm finden können.

Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; / denn sie werden satt werden.
Hier höre ich die Seufzer während der Nachrichtensendungen des TVs. Hier höre ich die Seufzer der gemobbten Kollegen in einem Büro.

Selig die Barmherzigen; / denn sie werden Erbarmen finden.
Hier sehe ich z.B. Menschen, die sich klein machen für andere, und welche, die sich mit Liebe hingeben, die scheinbar aussichtslos und ohne Dank im Kleinen wirken.

Selig, die ein reines Herz haben; / denn sie werden Gott schauen.

Selig, die Frieden stiften; / denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.

Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; / denn ihnen gehört das Himmelreich.

Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; / denn ihnen gehört das Himmelreich.

Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet.
Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein.

Machen Sie selbst Ihre Anmerkungen!

Vor allem nehmen sie die Seligpreisung Jesu an! Sie stehen damit an der Seite derer auf dem Berg der Seligpreisungen vor 2000 Jahren und hören, dass gerade uns, die wir ihm vertrauen, Jesus selig preist!

Selig! – „Seligkeit“, schenkt Jesus. Ich will bei diesem Wort bleiben. Manche sagen, man solle das griechische Wort makarios mit „glücklich“ übersetzen, was dem Sprachgebrauch nach richtig wäre. Aber das wäre verwechselbar mit dem, was wir gemeinhin unter Glück verstehen: etwa durch Zufall, eben durch großes Glück, etwas bekommen zu haben, mit dem wir nicht gerechnet haben. Hier geht es aber nicht um Zufall. Das Glück, dass uns hier zufällt, ist eben kein Zufall, sondern von Gott initiiert. Und es ist eben auch nicht begrenzt, sondern vorwegnehmende Teilnahme am Reich Gottes. –

Eine Bemerkung will ich noch loswerden. Weil wir ja ökumenisch Gottesdienst feiern!
Ich habe gerade den für den heutige Sonntag vorgesehenen Predigttext nach der katholischen Predigtordnung ausgelegt.
Dabei habe ich als evangelischer Prediger in einer katholischen Kirche über einen nach der evangelischen Predigtordnung für den Reformationstag vorgesehenen Bibeltext gesprochen!
Das – wenn man so will – „Protestantische“ an den Seligpreisungen ist, dass sie den Zuspruch Jesu, seinen Trost, in einer Tiefe zum Ausdruck bringen wie nur ganz wenige andere Bibeltexte. Wenn dies zum Ausdruck gekommen ist, haben Sie m.E. nichts Unkatholisches in meinen Worten entdecken können!
Amen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.