Predigt

Karfreitag

„Es ist vollbracht.“ – Jesu Kreuzigung und Tod

Johannes 19,16-30

16 Da überantwortete er ihnen Jesus, dass er gekreuzigt würde.
Sie nahmen ihn aber 17 und er trug sein Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf Hebräisch Golgatha. 18 Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte.
19 Pilatus aber schrieb eine Aufschrift und setzte sie auf das Kreuz; und es war geschrieben: Jesus von Nazareth, der König der Juden. 20 Diese Aufschrift lasen viele Juden, denn die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde, war nahe bei der Stadt. Und es war geschrieben in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache. 21 Da sprachen die Hohenpriester der Juden zu Pilatus: Schreib nicht: Der König der Juden, sondern dass er gesagt hat: Ich bin der König der Juden. 22 Pilatus antwortete: Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben.
23 Als aber die Soldaten Jesus gekreuzigt hatten, nahmen sie seine Kleider und machten vier Teile, für jeden Soldaten einen Teil, dazu auch das Gewand. Das war aber ungenäht, von oben an gewebt in einem Stück. 24 Da sprachen sie untereinander: Lasst uns das nicht zerteilen, sondern darum losen, wem es gehören soll. So sollte die Schrift erfüllt werden, die sagt (Psalm 22,19): »Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und haben über mein Gewand das Los geworfen.« Das taten die Soldaten.
25 Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala. 26 Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn! 27 Danach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.
28 Danach, als Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war, spricht er, damit die Schrift erfüllt würde: Mich dürstet. 29 Da stand ein Gefäß voll Essig. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und steckten ihn auf ein Ysoprohr und hielten es ihm an den Mund. 30 Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht!, und neigte das Haupt und verschied.

Liebe Gemeinde!

Es ist vollbracht! Jesus stirbt friedlich und erhaben, ja überlegen und triumphierend. Alle Qual ist vorbei. Alles Stöhnen. Alles Aushalten. Alles Ertragen von Schmach. Er hat es geschafft! Er hat sein Kreuz getragen, er selbst und er allein. Er hat sich zu trinken gefordert und er wusste, dass sich das Alte Testament erfüllen muss. –
Sie merken, liebe Gemeinde, der Evangelist gibt uns über den Tod Jesu etwas anderes preis als die anderen Evangelisten, die von Jesu Gottverlassenheit berichten: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.

Es ist vollbracht! Auf diesen Ausruf des Triumphes Jesu läuft dieser Bericht von der Kreuzigung zu, und nicht nur dieser, sondern das ganze Johannesevangelium.
Jesu Tod ist der Sieg! Das ist die Botschaft des vierten Evangelisten!
Er ist triumphaler Weggang. Er ist die „Stunde“, von der im Johannesevangelium immer wieder berichtet wird. Und berichtet wird auch, dass Jesus sie weiß und kennt und dass er bewusst auf sie zugeht.
Jesu Kreuzestod ist die Rückkehr des Fleisch gewordenen Wortes, das Gott zu den Menschen gesprochen hat. „Am Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort. Und das Wort ward Fleisch und wohnte mitten unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit!“ So lesen wir ganz am Anfang des JohEv. (1,1.14) Jetzt, so das Karfreitagsevangelium, ist das Wort der Liebe gesprochen! Es ist vollbracht! Gott hat sich in diese Welt eingemischt! Er hat diese Welt nicht sich selbst überlassen, sondern sich für sie aufgeopfert. In seinem Sohn Jesus Chrsitus. So (!) hat er sich eingemischt! –

[1. Vollbracht für jede/n Einzelne/n]
Es ist vollbracht! Gott siegt, wo nach menschlichen Maßstäben alles zu Ende zu sein scheint. Das ist das Bemerkenswerte hier. Das heutige Karfreitagsevangelium stellt diese Paradoxie heraus. Wo Menschen Verderben und Tod sehen, das Scheitern eines Menschen, findet in Wirklichkeit ein Sieg statt!

Einerseits: Obwohl eine Sensation geschieht, findet keine Nachricht Eingang in die Berichterstattung. Kein Schriftsteller der Antike weiß davon zu berichten. Auch heute würde kein Fernsehsender und keine Tageszeitung hierzu etwas bringen, allenfalls eine Randnotiz über eine grausame Hinrichtung irgendwo in einem Pulverfass der Welt. So der realistisch sich einschätzende Blick auf das Geschehen.

Doch was tatsächlich geschah, bleibt diesem Blick verborgen, bis das Auge des Glaubens darauf fällt, bis sich das Herz eines Menschen öffnet, oder besser: geöffnet wird. Da wird das Kreuz zum Siegeszeichen, zum Zeichen der sich bis zum Letzten hingebenden Liebe Gottes. „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab.!“

Mehr noch: es wird zum wirksamen Zeichen: Denn mit seinem Tod hat Jesus auf sich genommen, was Menschen von Gott trennt; er hat es sich zu eigen gemacht, erduldet, an Stelle der Menschen getragen.

Dieser Sieg am Kreuz, der vollbracht ist, begründet damit für jeden Menschen allerletzte Hoffnung. Gott hat niemanden verloren gegeben.
Der Sieger am Kreuz sagt: „Es ist vollbracht!“ Er fordert geradezu auf: Seht auf mein Kreuz! Hier ist alles für dich geschehen! Hier kannst du es erkennen, wie Gott es mit dir meint, was er für dich zu tun bereit war.
Viele unter uns kennen das berühmte Bild des Isenheimer Altars von Matthias Grünewald, dem Meister Mattis. Mein Lieblingsaltarbild. Mit der berühmten Kreuzigungsszene. Was nicht alle wissen: man setzte damals im 16.Jahrhundet in diesem Ort Isenheim im Elsass die unheilbar Kranken vor das Altarbild. So konnten sie auf ihre letzte Hoffnung, ja auf den auch für sie geschehenen Sieg und Sieger am Kreuz blicken. Eine für unser Verständnis vielleicht merkwürdige Seelsorge. Doch so konnten sie Gottes Zuwendung erfahren und darüber Ruhe für ihr Leben finden.
Und so kann auch uns dieses Kreuz hier hinter dem Altar, wenn wir hier sonntags zum Gottesdienst kommen, so können uns Kreuze auf manchen Gräbern, auch Gipfelkreuze auf den Bergen stets begleitendes Hoffnungszeichen sein. „Es ist alles für dich geschehen und fertig!“

Wie der Triumpf Jesu am Kreuz Auswirkung gezeigt hat und zeigt, kann man an einer interessanten Aufstellung von Worten erkennen, die Menschen unmittelbar vor ihrem Tod gesagt haben (sollen), die ich gefunden habe.

  • Jean-Paul Sartre: „Ich bin gescheitert“
  • Buddha: „Ich habe es nicht geschafft.“
  • Kaiser Augustus: „Habe ich meine Rolle gut gespielt? Nun, so klatscht Beifall, denn die Komödie ist zu Ende.“
  • Thomas Hobbes (engl. Philosoph): „Ich stehe vor einem furchtbaren Sprung in die Finsternis!“

Anders dagegen die im Glauben an Jesus Christus gestorben sind.

  • Stephanus: „Herr Jesus, nimm meinen Geist auf!“
  • Dietrich Bonhoeffer: deutscher Theologe und Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus. Vor seiner Hinrichtung sagte er: „Das ist das Ende. Für mich der Beginn des Lebens.“
  • Martin Luther (deutscher Reformator): „Vater, in Deine Hände befehle ich meinen Geist, du hast mich erlöst, du treuer Gott.“

Und auch bei weniger bekannten Menschen, bei Menschen auch in unserer Gemeinde, ist es dazu gekommen, dass sie Frieden für ihr Leben im Angesicht des Kreuzes gefunden haben.
Man spürt, wie der Triumph Jesu am Kreuz über Schuld und Tod in des Menschen Herz gelegt ihn zu Gott führt.
Wir mögen nicht Bonhoeffer oder Luther heißen. Aber dass auch uns das Karfreitagsgeschehen die nötige Ruhe, Geborgenheit und Sicherheit im Leben vermittelt, das kann jedem/jeder geschehen und das wollen wir für uns erhoffen und erbitten.

[2. Vollbracht für die ganze Welt]
Es ist vollbracht! Liebe Gemeinde, was für jede/n gilt, gilt auch für die ganze Welt. Vollbracht ist der Sieg Jesu am Kreuz auch für sie. Die Tafel mit den Inschriften weist darauf hin. Pilatus ließ ja dieses Schild am Kreuz anbringen, auf dem stand: „Jesus von Nazaret, der König der Juden“.

Zum einen: Diese Tafel fiel auf. Schon deshalb, weil Golgatha unmittelbar vor der Stadt lag, so, dass alle, die vorüberkamen, diese Aufschrift lesen mussten. Die Botschaft wurde also geradezu hinausposaunt, über die Proselyten, über die in den verschiedenen Ländern lebenden und nach Jerusalem reisenden Juden.

Zum zweiten: Sie war in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache abgefasst. Also: in den drei entscheidenden Sprachen, der Landes-, der Verwaltungs- und der Weltsprache! Und es ist kein Geringerer als der Vertreter der Weltmacht, Pontius Pilatus, der Jesus als den „König der Juden“ bekannt macht. Die Tafel sollte vielleicht dem Spott dienen, mit ihr wollte vielleicht Pilatus seinen jüdischen Bedrängern eins auswischen, oder er tat vielleicht einfach nur das, was damals üblich war, nämlich dem Verurteilten ein Schild umzuhängen, auf dem der Grund der Verurteilung zu lesen war. Wie dem auch sei. Das Schild bekommt einen amtlichen Charakter. Es steht höchst offiziell in der Welt.

Und zum dritten ist es da auch nicht mehr wegzubekommen: Die religiösen Führer in Israel sahen natürlich Jesus nicht gern als den „König der Juden“ bezeichnet. Doch Pontius Pilatus bleibt dabei, er hält an dieser Beschriftung fest, Dieser Jesus ist mehr als ein Aufrührer, ein Volksverhetzer, mehr als ein Mann mit politischen Ambitionen, denn sein Anspruch, so konnte man es in jeder seiner Predigten hören und an seinen Taten erkennen, wies eine Spur zu einem ganz anderen Königtum, zu Gott selbst.

Das Kreuz mit dem Schild wird damit zu einem Symbol, dass sich Gott nicht aus der Welt drängen lässt. Das ist so manches Mal versucht worden, und der Versuch geschieht ständig. Es versteht sich aber als Angebot an alle, diese Liebe zu ergreifen und sich der hier durch diesen König geschehenen Liebe anzuvertrauen.
Wer Kreuze als Schmuck am Hals trägt, ist sich meistens nicht bewusst, zu wessen Wegbereiter er werden kann und dass er der Verbreitung einer Weltbotschaft er damit dienen kann.

[3. Es ist vollbracht: die Liebe ist der Welt implantiert: Familie]

Es ist vollbracht! Liebe Gemeinde, auch das: dass Menschen zu einer Familie, der Gemeinde, zusammengefügt werden, die Gottes Liebe leben und damit in diese Welt wirken.
Jesus sagt zu seiner Mutter: „Frau, siehe, das ist dein Sohn!“ und zu dem Jünger, den er liebte, sagt er: „Siehe, das ist deine Mutter.“
Jesus meint hier mehr, als das er zwei Personen sagt, dass sie füreinander sogen sollen, wie es vielleicht ein sterbender Vater oder eine sterbende Mutter tut.
Die Theologen haben über diese Zuweisung viel diskutiert. Wie dem auch sei. Es geht ihm um seine Familie.
Das sind ja die Kennzeichen einer Familie: Aufeinander verwiesen zu sein. Zueinander stehen. Wie Eltern zum Kind. Wie Kinder zu den Eltern. Wie Gesshwister untereinander. Es wundert nicht, dass im Johannesevanglium und auch in den Johannesbriefen (auch wenn der Autor ein anderer ist) das Thema „Geschwisterliebe“ eine große Rolle spielt.
Diese neue Familie Gottes – das ist das Entscheidende – beginnt unter dem Kreuz. Die christliche Gemeinde ist Gemeinde unter dem Kreuz. Sie ist keine Schar, die irgendetwas irgendwie glaubt, sondern von Jesus unter dem Kreuz zusammen gerufen ist, die menschliche Kreuze trögt und weiß, dass sie dabei nicht alleine gelassen ist.
Auch das ist vollbracht. Es gibt sie jetzt, diese Familie, also die Gemeinde, die dem Kreuz zugewandt ist, die fähig ist, sich der Wirklichkeit der Welt, und damit der Kreuze, zu stellen, unter denen die Welt leidet. Das hat in manchen Zeiten die Gemeinden selbst unter’s Kreuz gebracht, wenn sie gegen Überfremdung und Demütigung ihr Kreuz zu tragen hatten.

[4. Schluss]

Es ist vollbracht. Zum Schluss möchte ich noch auf die Wortbedeutung hinweisen:
Es ist voll-bracht! Wenn etwas vollbracht ist, dann ist es abgeschlossen, endgültig, komplett, vollendet.
Das dürfen wir von diesem Karfreitag mit nach Hause nehmen, dass wirklich Gott nichts mehr hinzufügen muss zu dem, was am Kreuz geschehen ist für uns, zu unserer Rechtfertigung. Alles, wirklich alles hat dieser sterbende Jesus erduldet und getragen. Und darum braucht keiner von uns Zweifel mit sich zu tragen, es gebe da noch Dinge, die ihn so anklagen, dass er von Gottes Liebe getrennt werden könnte. Wir mögen von uns den Eindruck haben, dass wir dem mit unserem Leben nicht entsprechen. Das tun wir auch gewiss nicht. Das können wir wohl auch nicht, so lange wir hier leben. Aber Gott geht nicht mehr vor den Karfreitag zurück. Und er fügt dem auch nichts mehr hinzu. Es ist geschehen und vollendet, was nötig ist zu unserer Rechtfertigung. Halten wir uns daran fest! Und treten wir unter das Kreuz, wenn uns das Gewissen schlägt!


Amen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.