Predigt
Sommer 2009
„Meine hilfe kommt vom Herrn“
Psalm 121
Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe?
2 Meine Hilfe kommt vom HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat.
3 Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen, und der dich behütet, schläft nicht. 4 Siehe, der Hüter Israels schläft noch schlummert nicht.
5 Der HERR behütet dich; der HERR ist dein Schatten über deiner rechten Hand,
6 dass dich des Tages die Sonne nicht steche noch der Mond des Nachts.
7 Der HERR behüte dich vor allem Übel, er behüte deine Seele. 8 Der HERR behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit!
Liebe Gemeinde,
als sich unser Reisebus aus der Jordanebene immer höher hinauf die Straße nach Jerusalem müht, verschwindet die bis zu 400m unter dem Meeresspiegel liegende Ebene hinter uns in der Tiefe und im Dunst. Ich werde diesen Blick nie vergessen: diesen Blick zunächst zurück – dann aber vor uns die fast 700 m hohe Anhöhe des Ophel mit der „Zinne des Tempels“, der Al-Aqsa-Moschee und dem Felsendom und linkerseits mit dem sog. Käsemachertal, der Klagemauer, rechterseits dem Kidrontal, rechts daneben der Ölberg, und um das ganze Areal herum das bergige Jerusalem.
Damals als die Psalmen entstanden, muss der Anblick der umliegenden Berge und Höhen, auf denen noch keine Häuser standen, noch schroffer gewesen sein. Das heutige Niveau des Tempelgeländes war damals erheblich tiefer, bevor die Trümmer verschiedener Jahrhunderte zum Baugrund des Nachfolgenden wurden
Damals also: Der Tempel mit seinen Vorhöfen. Ein Wallfahrer, der gerade noch im Tempelbezirk war, ist aus dem Tor heraus getreten. Er schaut sich um, schaut nach oben, sieht die Höhen, und weiß seinen Heimweg durch die z.T. zerklüftete Landschaft vor sich: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe?“
Warum fragt er so? Das ist ja auf den ersten Blick überraschend. Er hat sich gestärkt bei seinem Gott im Tempel, ist voller Glauben und Vertrauen. Sein Herz ist voll.- Und doch sollte er hilfebedürftig sein?
Er war sich wohl der Gefahren bewusst, die auf ihn lauern, wenn er seine Schritte ihn von hier fortführen. Immerhin wird Jahrhunderte später Jesus diese Berge, diesen eingangs beschriebenen Weg von Jerusalem hinunter nach Jericho, zur Schaustätte des Gleichnisses machen, in dem ein Mensch überfallen und vom barmherzigen Samariter gefunden wird. Auch wilde Tiere konnten zur Bedrohung für ihn werden.
Damals aber bewegte den Wallfahrer wohl aber noch etwas ganz anderes. Er fragt vor allem deshalb so, weil diese Berge die heiligen Höhen der Heiden waren. Dort standen die Altäre ihrer Götter. Deren Verführung zu erliegen, stand er in Gefahr. Ihnen auch nur im Vorbeigehen Opfer zu bringen, aus Angst vor ihnen in die Knie zu gehen —, das war die eigentliche Bedrohung jener Berge, die ihn ängstigt.
So steht er am Ausgang des Tempels: ein Herz voller Glauben und gleichzeitig voller Verunsicherung und Befürchtungen im Blick auf die Welt, in der er zurück muss: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe?“
Wie geht es uns, wenn wir die Kirche verlassen, hinaustreten in den Sonntag und Alltag, in die gewohnte Umgebung, mit Gottes Wort im Herzen. Wir wissen den Glauben gestärkt. Wir haben unsere Sorgen bei Gott abgelegt. Der Trost der Lieder klingt noch im Ohr. Wir vertrauen darauf, dass Gott unsere Gebete erhört? Und auch unsere Sichtweise der Welt hat sich durch den Gottesdienst verändert: die von Gott getragene und nicht verlassene Welt steht uns wieder vor Augen.
Sind wir beim Hinaustreten dann nur froh und guter Dinge?
Oder mischt sich – vielleicht nicht sofort – nicht doch manchmal die Frage darunter: Wird der Glaube, wird Gottes Zuspruch mich tragen? Wird Gottes Anspruch auf meinen Dienst mich leiten?
Vor allem, wenn Gottes Wort nur spärlich bei mir Einkehr gefunden hat, werden mich solche Fragen bewegen.
Wir wissen nur zu genau, denn wir sind Realisten: die Welt ist durch meine Gottesdienstbesuch nicht eine andere geworden. Manche Alltagssorge wird mich wieder bedrängen, Manche Angst wird schon bald mich erneut überfallen. Das, was ich vor mir habe, verlangt schon einen tiefen Glauben von mir.
Das mag uns alles bewegen. Schlimmer aber ist, dass die Götter der Welt mich wieder gottlos machen wollen, mich angreifen, mir den Zugang, auch den zweifelnden Zugang zu Gott nehmen wollen.
Die Gefahr, die von den von Menschenhand gemachten, besser: menschenkopf erdachten Götter aus geht, die uns in ihren Bann nehmen, ist groß. Auch wenn sie nicht aus Holz geschnitzt sind, wie die Baale der Heiden, werden sie auch von uns gepflegt. So sind wir. Wir kennen uns.
Werden wir den Versuchungen widerstehen? Werden wir weiter unsere oft unhinterfragten Vorurteile, unsere praktischen Welterklärungsversuche, wieder aufnehmen? Werden wir uns wieder abhängig machen von uns selbst, von unserer Leistung, von dem, worauf wir vertrauen?
Wir machen doch, um ein aktuelles Beispiel zu nennen, aus sicherlich gewichtigen Wirtschaftsfragen oft eine ganze Lebensideologie, vergöttern allein den wirtschaftlichen Erfolg, als lägen Heil und Zufriedenheit allein hier als Schatz verborgen. Die Medien sind voll davon, und wir glauben ihnen. Und doch haben wir gerade gesehen und erleben es noch, wie brüchig diese Welt ist, erleben, wie die Gesellschaft immer mehr aufgeteilt wird in Haben und Nichthaben und ihre Mitte verliert, wie diese Welt immer absurdere Ablösungssummen zulässt und Millionen dem Hunger preis gibt.
Oder – ein anderes Beispiel – wir vergöttern uns selbst: Wir machen z.B. die Selbstdarstellung und die Selbstverwirklichung zu unserem Bekenntnis, stellen zur Schau, was eigentlich nur Eitelkeit ist. Und gehen in dingen auf, die die Welt nicht weiterbringt, nennen es aber Lebensqualität. Und sehen nicht, welche Grenzen damit zwischen Menschen gezogen werden.
Und – um noch ein Beispiel zu nehmen – wenn uns die Probleme dieser Welt bewusst werden, setzen wir auf die moderne Selbsterlösungsreligion, nach der alles, was menschliches Leben irgendwie beschwert, nur noch auf den genialen Gedanken eines Wissenschaftlers wartet und befehlen die Welt der wissenschaftlichen Entwicklung an. Es ist nur noch nicht so weit!, denken wir dabei, was wohl bei manchem ja so sein mag. Nur an Gott denken wir dabei nicht.
Und so wird das Lebensgefühl unserer Generation bestimmt von unterschwelligen Ängsten, von Belanglosigkeiten und Beschäftigungen und Auseinandersetzungen, die nicht weiter führen. Und ganz Vieles hat damit zu tun, dass wir Gott verloren haben um ihn durch andere Götter zu ersetzen. Dieses Lebensgefühl überkommt uns vielleicht schon am Ausgang der Kirche. –
Ich denke wieder an den Wallfahrer in den Bergen um Jerusalem. Früher gab es den hölzernen Wanderstab, auf den man sich stützte. Ich denke an uns, wenn wir durch die Berge wandern: Heute sind es die modernen Trekkingstäbe, die im Grunde bei jeder echten Bergwanderung unverzichtbar sind. Mit ihnen ist es wie mit dem Glauben: er soll uns eine Stütze im Alltag sein! Denn worauf sollten wir uns stützen, wenn’s steil wird? Was bewahrt uns vor dem Fallen? Was hilft beim Aufstehen nach dem Sturz? Was kann uns zur abwehrenden Waffe werden?
Der Psalm will uns vergewissern, dass es im Alltag bei dem bleibt, was Gott im Gottesdienst uns zugesagt hat. „Gottesdienst“, d.h. Gott dient uns! Wir verstehen es meist andersherum. Wir gehen in die Kirche und dienen damit Gott. Nein, er dient uns mit seinem Wort und Sakrament. Er schenkt uns seine Zusagen. Er vergewissert uns, dass wir die Kraft, die wir in den wechselnden Lebenssituationen brauchen, auch von ihm bekommen. Davon können wir leben. Darauf sollen wir bauen.
Und so können wir uns auch noch am Ausgang der Kirche und am Montagmorgen und auch noch Tage später sicher sein: „Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.“ Das hat Bestand. Das gibt uns Rückgrat. Das lässt uns Perspektiven gewinnen und vertreibt unsere Ängste. Das wird uns bewahren vor der „Religionisierung“ der praktischen Alltagsfragen.
„Deine Hilfe kommt von Gott, dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.“ Mit diesen Worten hat vielleicht ein Priester, der an die Seite des Wallfahrers getreten ist, ihm noch einmal Mut für den Weg gemacht. Im Zusammenhang mit unserem Gottesdienstbesuch sind solche Worte dessen Nachklang im vom Glauben erfüllten Herzen.
Der Beter des 121. Psalms stützt seine Zuversicht vor allem auf Gott als dem Schöpfer des Himmels und der Erden. Also: Warum sollten wir mutlos sein, vielleicht sogar am Leben verzweifeln, so will er uns sagen. Warum sollten wir uns auf menschliche Theorien und Gedanken beschränken, wo wir ihn doch haben, und er unser Denken füllen kann? Auf wen sollten wir uns denn verlassen, wenn nicht auf den, der über alle Dinge die Macht hat, weil er sie selbst geschaffen hat! Ein Wort, so berichtet das erste Kapitel der Bibel, hat genügt aus seinem Munde, so geschah es: aus dem Nichts heraus wurden die Welt und alle Dinge ins Dasein gerufen. Dieser Gott hat am Anfang das Tohuwabohu gebändigt und eine gute Ordnung aufgerichtet. Und wie sprechen wir am Anfang eines jeden Gottesdienstes? „Der Himmel und Erde gemacht hat, hält Bund und Treue ewiglich und gibt nicht preis die Werke seiner Hände.“ Er hat die Welt nicht sich selbst überlassen.
Gott hat sich dem Menschen „zu ernstlich, zu vorbehaltlos verbunden, als dass ihn das nachträglich doch wieder reuen, als dass er nun nachträglich doch wieder der einzige und also ohne sein Geschöpf sein wollen könnte“ (K. Barth, KD 111/3, S. 101). Als der Schöpfer ist er mitten in der Gegenwart der Geschichte Israels und durch Jesus Christus mitten in unserer Gegenwart. So gilt auch uns die Zusage: Du bist nicht allein auf deinem Weg über die Berge vorbei an den Göttern, auf deinem Marsch durch die finsteren Täler. Kein Geringerer als der Schöpfer des Himmels und der Erde hält auch dir — wie dem ganzen Volk Gottes — Bund und Treue. Seine Hand, die alles geschaffen hat, ist auch heute nicht zu kurz zum Helfen.
Liebe Gemeinde, lassen wir es auf ein Experiment ankommen: Lassen Sie es uns versuchen, uns in der kommenden Woche an jedem Morgen, bevor wir überhaupt etwas tun, morgens – vielleicht wenn wir uns im Spiegel ungekämmt selbst anlächeln – mit dem Gedanken den Tag beginnen: „Meine Hilfe kommt von dem Herrn, der den Himmel und die Erde gemacht hat!“ Ich denke, da hat der Tag schon eine Qualität gewonnen, die er mit all unserem quasireligiösen Hilfskonstruktionen gar nicht bekommen kann, denn wir wissen: „„Siehe, der Hüter Israels schläft und schlummert nicht, der Herr ist dein Schatten über deiner rechten Hand, dass dich des Tages die Sonne nicht steche noch der Mond des Nachts.“
Amen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.







