Predigt
1. Advent 2016
„Chai Adonaij!“
Jeremia 23,5-8
5 Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird.
6 Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen. Und dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird: »Der Herr ist unsere Gerechtigkeit«.
7 Darum siehe, es wird die Zeit kommen, spricht der Herr, dass man nicht mehr sagen wird: »So wahr der Herr lebt, der die Israeliten aus Ägyptenland geführt hat!«,
8 sondern: »So wahr der Herr lebt, der die Nachkommen des Hauses Israel heraufgeführt und hergebracht hat aus dem Lande des Nordens und aus allen Landen, wohin er sie verstoßen hatte.« Und sie sollen in ihrem Lande wohnen.
Liebe Gemeinde,
1
„eingeschworen“ auf Gott waren die Israeliten auf dem Weg der Wüstenwanderung raus aus der drückenden Sklaverei in Ägypten hinein ins Gelobte Land im wahrsten Sinne des Wortes. „Chai Adonaij!“ „So wahr der Herr lebt!“ Mit dieser Schwurformel bekräftigten sie ihr Verhältnis zu Gott. Mit ihr brachten sie zum Ausdruck, wem sie sich verpflichtet fühlten. Damals und auch später.
Aber das war lange her, als Jeremia, diese Zeilen schreibt – 700, 800 Jahre.
Und jetzt um 550 vor Christus sprach keiner mehr so: Israel war vom Krieg zerstört, Jerusalem geschleift. Und die Menschen, zu denen Jeremia hier spricht, saßen – in ihrem Glauben verunsichert – wieder irgendwo in einem anderen Land, dieses Mal im Zweistromland, im heutige Irak, verbannt aus der Heimat durch die Babylonier und zu deren Diensten gezwungen. Es war fast wie damals in Ägypten!
„So wahr der Herr lebt!“ Jeremia kündigt ihnen an: Diesen Satz werdet Ihr neu sprechen! Ihr werdet ihn sprechen, nicht als die, die Gott aus Ägypten, sondern die Gott aus der gegenwärtigen Gefangenschaft in Babylon befreit und zurück geführt hat! Jeremia weckt eine große Hoffnung: Genauso wie damals wird es kommen, als Gott die Nachkommen des Hauses Israel aus dem Lande des Exils gebracht hat. „So wie Ihr es Euch erträumt, wird es kommen, Ihr die Ihr sprecht: „Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens und unsre Zunge voll Rühmens sein.“ (Psalm 126)
Wir wissen heute, dass seine Prophezeiung eingetreten ist. Die Israeliten kamen auch dieses Mal zurück in ihr Land! Gott stand zu seinem Volk! „So wahr der Herr lebt!“ Er lebt.
„So wahr der Herr lebt!“ Dieser Ruf ergeht jetzt zu Beginn der Adventszeit an uns. Auch wir sollen „eingeschworen“ werden. Eingeschworen auf das für viele immer noch schönste Fest, das Fest der Geburt Christi. Der Advent, die Adventszeit ist die Zeit der Ausrufung des Zukünftigen, Herold wie es Jeremia war. Das, was unmittelbar auf uns zukommt, im besten Sinne zukommt, kündigt sie an: Das Weihnachtsfest als eine Erinnerung an die Geburt Gottes. Auch im Jahr 2016 und zu Beginn des neuen Kirchenjahres gilt und steht die Botschaft von Gottes unermesslicher und unbegreiflicher Zuwendung und Zuneigung. Sie trifft – konzentriert auf ein paar Tage und Stunden – fokussiert in den Mittelpunkt.
Ich habe den Eindruck, dass sie in diesem Jahr mehr als in anderen Jahren in eine Situation der Glaubensverunsicherung trifft. Gewiss sind wir keine Deportierten im fremden Land, aber wir leben in einer Stimmung im Land, die auch etwas mit „Fremde“ zu tun hat, mit Entfremdung, etwas damit zu tun hat, dass viele Menschen Angst vor Überfremdung haben.
Wir leben – oder sehe ich das zu aufgeregt? – in einem Jahr, das geprägt ist durch eine unglaubliche Unzufriedenheit (für mich) erstaunlich vieler Menschen, durch einen unheimlichen Wohlstand (meist) anderer, durch Polarisierung in der Gesellschaft, durch Ängste vieler, durch aufgeregte Diskussionen in den Medien, durch Befürchtungen, was die Zukunft angeht, durch Befürchtungen, alte Zeiten könnten sich Bahn brechen, gewiss durch einen Mangel an Barmherzigkeit, Nächsten- und Feindesliebe, die das Christuskind in die Welt gebracht hat. Was da alles gesagt und gefordert wird!
Natürlich gibt es auch die und wir können dankbar dafür sein, dass es so viele sind, die diesem Kind und Herrn versuchen gerecht zu werden in ihren Werken der Barmherzigkeit, in ihrem Engagement, mit ihrer Hilfe.
Aber es wird doch gut sein, wenn wir erinnert werden in diesen ungereimten Zeiten an das Ereignis, das den Glauben begründet: „Gott wird Mensch Dir Mensch zugute.“ „Er ist auf Erden kommen arm, dass er unser sich erbarm.“ „Als die Welt verloren, Christus ward geboren; in das nächtge Dunkeln fällt ein strahlend Funkeln.“ (EG 53)
Es ist gut, wenn wir uns erneut darauf besinnen und unseren Glauben festigen, dass er gekommen ist und sich unser erbarmt hat.
So schwören wir uns erneut auf ihn ein: „So wahr der Herr lebt!“ Er lebt!
2
So wahr der Herr lebt! Er lebt Er lebt und hat sich uns gezeigt und hält uns in seiner Obhut und unser Leben ist nicht ohne ihn, und er geht unsere Wege mit uns.
Unser heutiger Predigttext greift für die damalige Situation ein Hoffnungsbild auf, das auch uns für die diesjährige Adventszeit zu mehr Zuversicht führen kann.
Es ist das Bild vom „Spross“, also vom Baumstumpf oder blattlosen Gerippe eines Strauches oder Baumes, der zuerst ganz zart und an einer ersten Stelle im Frühjahr oder bereits im Spätwinter ausschlägt. So sieht Jeremia es für die damalige Zeit: die Welt wird nicht dieses Holzgerippe bleiben. Es grünt bereits. Der „Spross“ – damit meint Jeremia konkret den Perserkönig Kyros – tritt schon auf den Plan. Jeremia war kein Hellseher, sondern beurteilt die politische Situation.
Auf uns heute gesagt: der Spross, das Jesuskind, der „Sprössling“ des davidischen Königshauses, tritt wieder auf den Plan, wenn Ihr Euch erinnert, wie es damals war in Bethlehem. Und da muss Euch die Welt doch nicht so heil- und trostlos erscheinen! Denn so lange Ihr Euch dessen erinnert, solange es Weihnachten wird unter Euch, grünt es doch unter Euch. Die Wurzel wird noch genährt; sie treibt doch aus. Der einmal erwachte Zweig ist nicht wieder vertrocknet oder abgeknickt und abgebrochen.
3
„Der ‘Sprössling‘ soll König sein“, sagt Jeremia. Er verlässt das Bild gleich wieder. Er hat es fast wie einen Titel gebraucht für den, den er jetzt direkt den „König“ nennt.
„Der soll König sein!“ Jeremia stellt gegen das Versagen des damaligen jüdischen Königs Zedekia einen neuen Nachfolger. Zedekia – übersetzt „Der Herr ist meine Gerechtigkeit“, trägt zu Unrecht seinen Namen. Der „Spross“ hingegen wird heißen „Der Herr ist unsere Gerechtigkeit.“. Er hat diesen Namen verdient, weil Gott auf seiner Seite steht. „Der Herr ist unsere Gerechtigkeit.“, das ist sein Titel, den er legitimer Weise trägt.
„Der Herr ist unsere Gerechtigkeit.“ Wenn Jeremia diesen Titel dem fremden persischen König, einem nichtjüdischen Regenten, der mit dem Gott Israels gar nichts zu tun hatte, verleihen kann, um wie viel mehr dürfen wir ihn mit dem Jesuskind verbinden!
„Der Herr ist unsere Gerechtigkeit!“ Das ist der Boden auf dem wir heute stehen. Das ist es, was der König bringt. Eine neue, andere Gerechtigkeit, die nicht auf sanktionierenden Ausgleich angelegt ist. Eine neue Gerechtigkeit, die in der Gerechtigkeit Gottes ihren Ursprung hat, eine Gerechtigkeit, die empor führt, die herausholt, die ohne Verdienst zugesprochen wird dem, der von sich aus nicht gerecht sein kann, dem Menschen.
Und sie grünt, seit es zum ersten Mal Weihnachten wurde. Das Windelkind Jesus, der gekreuzigte und auferstandene Christus grünt in der Kirche, bei uns (!), in dem, was wir von ihm im Herzen tragen an Liebe, Zuversicht, Demut, Milde und Geduld, und in dem, wie wir geprägt sind von seiner Gerechtigkeit in unserem Reden und Tun. Wo er mit uns ist, uns die Kraft gibt, die Ideen gibt, da blüht vielleicht nicht sofort das Reich Gottes auf, aber zeigen sich die Knospen, die aufgehen werden zu ihrer Zeit.
4
Wo sprosst seine Gerechtigkeit?
• Wo Menschen ihre eigene Ungerechtigkeit im Glauben als abgenommen und vergeben annehmen und erleben, und wieder ins Recht gesetzt sind, und ihnen daraus Neuanfänge erwachsen. Wo also die Vergebung durch Jesus Christus in Kreuz und Auferstehung an Menschen wirksam wird, da ist ein Stück Recht und Gerechtigkeit „auf Erden“ (bahaartz) „gemacht“ (ascha), also geschaffen worden.
• In der Gemeinschaft: Menschen können aufeinander zugehen, offen sein und werden für den / die andere/n, auch für den/die, der/die so ganz anders ist. Sie müssen nicht ständig in den Spiegel schauen und dann sehen sei, was ihnen an sich nicht gefällt und versuchen es auf Kosten anderer abzubauen. Sie müssen sich nicht auf Kosten anderer selbst bescheinigen, wie gut sie sind, weil sie sich angenommen wissen, wie sie sind. Sie müssen sich nicht dauernd selbst bestätigen.
• Das Kind der Gerechtigkeit wird erkennbar, wo Menschen aufstehen gegen offensichtliche Ungerechtigkeit oder auch gegen die sich eher im Stillen vollziehende, wo Menschen nicht kalt bleiben, oder auch umgekehrt, wenn sie zittern, weil es sie fröstelt oder auch erstarren lässt, was da alles möglich ist unter den Menschen.
• Es wird erkennbar, wo Menschen in dem Glauben an dieses Kind und den später Gekreuzigten und Auferstandenen leben, dass er zuletzt Recht und Gerechtigkeit aufrichten wird, dass zur seiner Zeit nicht nur Juda geholfen werden soll (s.Text) und nicht nur Israel sicher wohnen soll, sondern auch die vielen anderen, die Millionen bedrohter und verfolgter Menschen, die in den nie enden wollenden Elendszügen über diese Welt ziehen und nach Gerechtigkeit schreien.
• Sie wird erkennbar, wo Menschen sich in diesem Glauben aufmachen gegen eben diese Ungerechtigkeit, gegen Ungleichbehandlung, gegen den Gegensatz, privilegiert oder eben nicht privilegiert zu sein
• Und eins möchte ich noch hinzufügen. Sie wird sicher auch erkennbar in dem Rückbesinnungsprozess innerhalb unserer Kirche, den man jetzt doch über Jahre erkennen kann, sicherlich ausgelöst, dadurch, dass wir offenbar immer weniger werden, dem Rückbesinnungsprozess auf die Grundlagen, dass wir fragen: auf welchem Boden stehen wir eigentlich und wie stehen wir zu dem Zeitgeist, in dem wir nicht mehr einfach nur aufgehen oder ihn verteufeln.
5
Es grünt und sprosst. Das wird, liebe Gemeinde, in besonderer Weise die Weihnachtsbotschaft in diesem Jahr werden, die frohe Botschaft des Weihnachtsfestes in der Weise, dass die Gerechtigkeit, die Gott in Jesus Christus heraufgeführt hat uns positioniert auf die Seite der Barmherzigkeit, der Zuwendung und der Herzensweite in einer Welt, in der die Herzen vieler immer enger zu werden scheinen.
Das Leben ist erschienen, das Leben, das Recht und Gerechtigkeit verspricht. Lassen wir uns erfüllen in dieser Zeit des Advent und der Weihnacht mit solchem neuem Leben.
Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt,
ist das nicht in Fingerzeig, dass die Liebe bleibt?
Dass das Leben nicht verging, so viel Blut auch schreit,
achtet dieses nicht gering in der trübsten Zeit.
„Chai Adonaij!“ „So wahr der Herr lebt!“
Amen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.







