Predigt

Karfreitag 2016

„Gott versöhnte die Welt“

2. Korinther 5,19-21

19 Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.
20 So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!
21 Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.

Liebe Gemeinde,

„Gott war in Christus“ – diese vier Wörter sind die wohl knappste Zusammenfassung der Geschichte Jesu Christi in ihrer ganzen Besonderheit. Gott, so betone ich, war in Christus. In dem Menschen Jesus war Gott, war Gott im Herzen und tätig.
Gott selbst, kein Geringerer, war der, der in dieser Geschichte Jesu gehandelt hat. Er initiierte sie, er selbst wurde in Jesus Christus Mensch, lebte wie ein Mensch, starb wie ein Mensch und ist dann von den Toten auferstanden und erhöht worden, wie der Glaube erkennt.
Paulus, der diese Zeilen des 2. Kor. geschrieben hat, kennt auch ausführlichere Beschreibungen. Die Evangelien erst recht – auf ihre je eigene Weise.
Aber es geht eben auch so, mit diesen vier Worten: „Gott war in Christus.“

„Gott war in Christus.“ Diese knappe, fast unscheinbar wirkende Aussage beschreibt nun aber viel mehr als eine persönliche Gottesgeschichte, die an sich ja schon beispiellos, beträchtlich, ja unerhört wäre.
Sondern sie pointiert und bringt auf den Punkt den Höhepunkt, besser: den Kulminationspunkt der Geschichte dieser Welt und damit den Ausgangspunkt aller Erkenntnis und Einsichtnahme, die Menschen haben können über das besondere Verhältnis Gottes zu einer Schöpfung und zu seinen Menschen.

„Gott war in Christus“, dieses historische Ereignis bringt eine neue Qualität in die Welt- und Menschengeschichte: die Versöhnung! „Gott war in Christus und versöhnte damit die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.“
Versöhnung ist geschehen, als Gott in Christus war!
Die von Lessing als „garstigen breiten Graben“ bezeichnete unüberwindbare Kluft zwischen Gott und Mensch, Mensch und Gott, zwischen Gott und Welt, Welt und Gott hat Gott überwunden. Und von diesem Ereignis entstanden und entstehen Brücken über die Gräben zwischen Menschen und zwischen Geschöpfen.

Wir hören, dass Gottes Versöhnung zwei Dimensionen hat: eine „senkrechte“ und eine „waagerechte“.
Gott versöhnte die Welt – in der „senkrechten“ Dimension“ heißt das: „mit sich selber“.
Gott versöhnte die Welt – in der „waagerechten Dimension“ heißt das: „Er hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.“

Schauen wir genauer auf die „senkrechte“ Versöhnung, die Versöhnung zwischen Gott und der Welt.
Wenn Versöhnung stattfindet, geht Streit voraus. Und in der Tat sieht Paulus ein zerstörtes Verhältnis insbesondere zwischen Gott und Mensch. Der Mensch ist für ihn – ich nehme ein Bild Martin Luthers auf – der „in sich gekrümmte Mensch“ (homo incurvatus in se ipse). Der Mensch dreht sich mit seinem Denken und Handeln stets um sich selbst.. Er ist allein mit sich selbst beschäftigt. Und weil er in sich gekrümmt ist, kann er sich auch nicht nach oben aufrichten und zu seinem Schöpfer blicken. Er bleibt bei sich selbst.
Eine nüchterne Beschreibung einer Grundwahrheit!
Die Versöhnung geschieht nun dadurch – um im Bild zu bleiben – dass Gott den Menschen hilft, sich aufrichten zu können, dass er sich nicht verlieren muss, dass er wieder im Einklang mit seinem Schöpfer leben kann.
Und jetzt verlasse ich das Bild und schaue direkt in den Text des 2. Kor.: Hier steht das griechische Wort für „versöhnen“ (katalasso), das in seiner Grundbedeutung „tauschen“, „wechseln“ heißt. Genau das ist damals geschehen: ein „Tausch“, ein „Wechsel“.
Und Paulus beschreibt ihn auch so: „Gott hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir Menschen Gerechtigkeit würden in ihm.“ Also: er, Jesus Christus, der Gerechte, zur Sünde, wir, die Menschen, die Sünder zur Gottesgerechtigkeit.
Der Tausch ist deutlich:
Christus nimmt die menschliche Situation der Gottesferne auf sich, wird selbst Mensch, ja er geht dahin, was allem Leben und allen Lebenden in der Gottesferne beschieden ist, in die äußerste, ewige Gottesferne, in den Tod. Er stirbt für die Gottesfernen und das heißt: an unserer Statt am Kreuz von Golgatha!
Als dessen Folge werden Mensch und Welt Gott recht. Sie müssen nicht mehr ausbaden und tragen, was die Folge ihrer Gottlosigkeit konsequenterweise gewesen wäre. Sondern sie werden von Gott angenommen, wie sie sind – ohne Anrechnung einer Schuld! Sie werden, so wörtlich hier: „Gottesgerechtigkeit“. D.h. sie werden nicht mehr und nicht weniger als Gott sich selbst recht ist!
Gott richtet den Menschen nicht nur auf. Luthers Bild ist viel schwächer als das biblische hier. Gott hebt den Menschen und die Welt aus seiner und ihrer Selbstverlorenheit und setzt ihn und sie – unbegreiflicherweise und wunderbar – an die Stelle, an der er, der Gerechte, selbst steht.

Durch die Versöhnung Gottes mit Mensch und Welt, ist nun eine Norm gegeben, ein neues Weltverständnis. Dem Menschen, der unter dem Wechsel lebt, ist ein Standort zugewiesen, eine Basis gegeben, ein Rückhalt und ein Rückgrat. Damit sind wir bei der „waagerechten“ Versöhnung, der Versöhnung von Menschen untereinander, der Versöhnung von Mensch und Schöpfung, der Versöhnung der „Welt“ miteinander, oder nochmal mit Paulus: „Es ist unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.“
Die Gemeinde kommt jetzt in den Blick, die korinthische damals, wie viele nach ihr bis zu uns heute und auch die Gemeinden von morgen.
Die Gemeinde ist die Versammlung derer, die durch die Versöhnung Gottes mit den Menschen und der Welt gerufen sind, in dieser Wahrheit der Versöhnung zu leben, denen es gegeben ist, auf diese Versöhnung zu bauen und sie zu leben. In der Gemeinde leben und erleben Menschen die Versöhnung, die ihnen geschehen ist, auch untereinander. Ich möchte geradezu sagen: das ist das Wesen christlicher Gemeinden. Wenn nicht dies, was dann? Wo sich Menschen in der Liebe Gottes, die sich im Christusgeschehen gezeigt hat, gehalten wissen und dies leben, da ist, besser: da ereignet sich Gemeinde. Sie ereignet sich wahrlich nicht immer, möchte man sarkastisch hinzufügen. Aber das bringt nicht weiter. Die Versöhnung ist immer praktisches Geschehen, wie auch die Gemeinde, nichts Statisches, sondern etwas auf den Moment Bezogenes ist. Das Statische, das Feste ist Gottes Versöhnung, an der Menschen im Ereignis der Versöhnung mit anderen Menschen teilhaben. Darum heißt es hier: Lasst euch versöhnen mit Gott! Immer wieder! Immer erneut! Immer wieder daran teilhaben an der Versöhnung Gottes im Leben der Versöhnung mit anderen. Die Versöhnung Gottes ereignet sich unter Menschen im Gespräch, im füreinander tun, in der Begegnung, in Kreisen der Gemeinde, in Gottesdiensten vor allem und im Abendmahl.
Es ist kein „Idealbild“ von Gemeinde, das hier entworfen wird, sondern wir werden aufmerksam gemacht, wie sich Gottes Versöhnung in unserem Leben ereignet.

„So sind wir nun Botschafter an Christi statt.“ Sogar so weit geht das. Es strahlt über uns aus. Gott strahlt über uns aus, da wo im Glauben Versöhnung geschieht. Eine „Idealgemeinde“ kann nicht über sich hinaus ausstrahlen. Schauen wir uns unsere Gemeinden an, sehen wir wie menschlich es zugeht. Selbst die beste Gemeinde wäre doch nur eine menschliche Schar.
Da wirken wir kaum magnetisch. Sondern es sind die Momente, die konkreten Geschehnisse, die über uns hinaus weisen auf Gott und sein Tun.

„So sind wir nun Botschafter an Christi statt.“
Botschafter der Versöhnung Christi in seinem Namen zu sein, bekommt in der aktuellen alles beherrschenden Diskussion über den Umgang mit Flüchtlinge eine klare Diktion, einen klaren Akzent. Die, die für Härte, Ausschluss und Abgrenzung sprechen, können sich nicht auf ein christliches Abend- und Vaterland berufen. Gerade im Suchen des anderen kann und wird sich Christus erweisen, der Versöhnung gebracht hat und immer wieder durch Menschen erneut bringen will.
Auch durch uns Elberfelder Südstädter.
Amen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.