Eine eigenwillige Sammlung
Matthias Claudius (1740-1815)
„Der Mensch lebt und bestehet“
Der Mensch lebt und bestehet
Nur eine kleine Zeit;
Und alle Welt vergehet
Mit ihrer Herrlichkeit.
Es ist nur Einer ewig und an allen Enden,
und wir in seinen Händen.
Mascha Kaléko (1907- 1975)
„Jom Kippur“
Herr: unser kleines Leben – ein Inzwischen,
Durch das wir aus dem Nichts ins Nichts enteilen.
Und unsre Jahre: Spuren, die verwischen,
Und unser ganzes Sein. Nur ein Einstweilen.
Lass du uns wissen, ohne viel zu fragen.
Lehr uns, in Demut schuldlos zu verzeih`n.
Gib uns die Kraft, dies alles zu ertragen
Und lass uns einsam, nicht verlassen sein.
Wir sind nicht da, um richtend zu begreifen,
Uns war bestimmt, zu glauben und zu tun,
Und wenn uns Gottes Mantelseiten streifen,
Im Schatten seiner Falten auszuruh`n.
Zitiert nach: https://breslauersammlung.com/2022/09/29/assimilierten/
Oskar Blumenthal (1852-1917)
„Wer immer nach dem Nutzen strebt“
Wer immer nach dem Nutzen strebt,
der glaubt wohl, das er ewig lebt,
sonst würd‘ er vor der Frage stutzen:
Am letzten Tag, wo bleibt der Nutzen?
Eugen Roth (1895-1976)
„Allzu eifrig“
Ein Mensch sagt – und ist stolz darauf –
er geh in seinen Pflichten auf.
Bald aber nicht mehr ganz so munter,
geht er in seinen Pflichten unter.
Friedrich Rückert (1788-1866)
„Das sind die Weisen“
Das sind die Weisen,
die durch Irrtum zur Wahrheit reisen.
Die bei dem Irrtum verharren,
das sind die Narren.
Friedrich Rückert (1788-1866)
„Parabel“
Es ging ein Mann im Syrerland,
Führt‘ ein Kamel am Halfterband.
Das Tier mit grimmigen Gebärden
Urplötzlich anfing scheu zu werden
Und tat so ganz entsetzlich schnaufen,
Der Führer vor ihm mußt entlaufen.
Er lief und einen Brunnen sah
Von ungefähr am Wege da.
Das Tier hört‘ er im Rücken schnauben,
Das mußt‘ ihm die Besinnung rauben.
Er in den Schacht des Brunnens kroch,
Er stürzte nicht, er schwebte noch.
Gewachsen war ein Brombeerstrauch
aus des geborstnen Brunnens Bauch;
Darein der Mann sich fest tat klammern,
Und seinen Zustand drauf bejammern.
Er blickte in die Höh‘, und sah
Dort das Kamelhaupt furchtbar nah‘,
Das ihn wollt‘ oben fassen wieder.
Dann blickt‘ er in den Brunnen nieder;
Da sah am Grund er einen Drachen
Aufgähnen mit entsperrtem Rachen,
Der drunten ihn verschlingen wollte,
Wenn er hinunterfallen sollte.
So schwebend in der beiden Mitte,
Da sah der Arme noch das dritte.
Wo in die Mauerspalte ging
Des Sträuchleins Wurzel, dran er hing,
Da sah er still ein Mäusepaar,
Schwarz eine, weiß die andre war.
Er sah die schwarze mit der weißen
Abwechselnd an der Wurzel beißen.
Sie nagten, zausten, gruben, wühlten,
Die Erd‘ ab von der Wurzel spülten;
Und wie sie rieselnd niederrann,
Der Drach‘ im Grund aufblickte dann,
Zu sehn, wie bald mit seiner Bürde
Der Strauch entwurzelt fallen würde.
Der Mann in Angst und Furcht und Not,
Umstellt, umlagert und umdroht,
Im Stand des jammerhaften Schwebens,
Sah sich nach Rettung um vergebens.
Und da er also um sich blickte,
Sah er ein Zweiglein, welches nickte
Vom Brombeerstrauch mit reifen Beeren;
Da konnt‘ er doch der Lust nicht wehren.
Er sah nicht des Kameles Wut,
Und nicht den Drachen in der Flut,
Und nicht der Mäuse Tückespiel,
Als ihm die Beer‘ ins Auge fiel.
Er ließ das Tier von oben rauschen
Und unter sich den Drachen lauschen,
Und neben sich die Mäuse nagen,
Griff nach den Beerlein mit Behagen,
Sie deuchten ihn zu essen gut,
Aß Beer‘ auf Beerlein wohlgemut,
Und durch die Süßigkeit im Essen
War alle seine Furcht vergessen.
Du fragst: „Wer ist der töricht‘ Mann,
Der so die Furcht vergessen kann?“
So wiss‘, o Freund, der Mann bist du;
Vernimm die Deutung auch dazu.
Es ist der Drach‘ im Brunnengrund
Des Todes aufgesperrter Schlund;
Und das Kamel, das oben droht,
Es ist des Lebens Angst und Not:
Du bist’s, der zwischen Tod und Leben
Am grünen Strauch der Welt mußt schweben.
Die beiden, so die Wurzel nagen,
Dich samt den Zweigen die dich tragen,
Zu liefern in des Todes Macht,
Die Mäuse heißen Tag und Nacht.
Es nagt die schwarze wohl verborgen
Vom Abend heimlich bis zum Morgen,
Es nagt vom Morgen bis zum Abend
Die weiße, wurzeluntergrabend.
Und zwischen diesem Graus und Wust
Lockt dich die Beere Sinnenlust,
Daß du Kamel, die Lebensnot,
Daß du im Grund den Drachen Tod,
Daß du die Mäuse Tag und Nacht
vergissest, und auf nichts hast acht,
Als daß du recht viel Beerlein haschest,
Aus Grabes Brunnenritzen naschest.
Adalbert Harnisch (1815–1889)
„Bürgerlied“
Ob wir rothe, gelbe Kragen,
Hüte oder Helme tragen,
Stiefeln oder Schuh’;
Oder, ob wir Röcke nähen,
Und zu Schuh’n die Fäden drehen –
Das thut nichts dazu.
Ob wir können decretiren,
Oder müssen Bogen schmieren
Ohne Rast und Ruh;
Ob wir just Collegia lesen,
Oder ob wir binden Besen –
Das thut nichts dazu.
Ob wir stolz zu Rosse reiten,
Ob zu Fuß wir fürbaß schreiten
Unsrem Ziele zu;
Ob uns vorne Kreuze schmücken,
Oder Kreuze hinten drücken –
Das thut nichts dazu.
Aber, ob wir Neues bauen,
Oder’s Alte nur verdauen
Wie das Gras die Kuh –
Ob wir für die Welt was schaffen,
Oder nur die Welt begaffen –
Das thut was dazu.
Ob im Kopf ist etwas Grütze
Und im Herzen Licht und Hitze,
Daß es brennt im Nu;
Oder, ob wir friedlich kauern,
Und versauern und verbauern –
Das thut was dazu.
Ob wir, wo es gilt, geschäftig
Großes, Edles wirken, kräftig
Immer greifen zu;
Oder ob wir schläfrig denken:
Gott wird’s schon im Schlafe schenken –
Das thut was dazu.
Drum ihr Bürger, drum ihr Brüder,
Alle eines Bundes Glieder,
Was auch jeder thu’ –
Alle, die dies Lied gesungen
So die Alten wie die Jungen –
Thun wir denn dazu.
Werner Bergengruen (1892-1964)
„Zu Lehen“
Ich bin nicht mein, du bist nicht dein.
Keiner kann sein eigen sein.
Ich bin nicht dein, du bist nicht mein.
Keiner kann des andern sein.
Hast du mich zu Lehn genommen,
hab zu Lehn dich überkommen.
Also mags geschehen:
Hilf mir, liebstes Lehen,
dass ich alle meine Tage
treulich dich zu Lehen trage
und dich einstmals von der letzten Schwelle
unversehrt dem Lehnsherrn wiederstelle.
Rudolf Alexander Schröder (1878-1962)
„Es mag sein, dass alles fällt“ (1935!)
Es mag sein, dass alles fällt,
dass die Burgen dieser Welt
um dich her in Trümmer brechen.
Halte du den Glauben fest,
dass dich Gott nicht fallen lässt:
er hält sein Versprechen.
Es mag sein, dass Trug und List
eine Weile Meister ist;
wie Gott will, sind Gottes Gaben.
Rechte nicht um Mein und Dein;
manches Glück ist auf den Schein,
lass es Weile haben.
Es mag sein, dass Frevel siegt,
wo der Fromme niederliegt;
doch nach jedem Unterliegen
wirst du den Gerechten sehn
lebend aus dem Feuer gehn,
neue Kräfte kriegen.
Es mag sein, die Welt ist alt;
Missetat und Missgestalt
sind in ihr gemeine Plagen.
Schau dir´s an und stehe fest;
nur wer sich nicht schrecken lässt,
darf die Krone tragen.
Es mag sein, so soll es sein.
Fass ein Herz und gib dich drein;
Angst und Sorge wird´s nicht wenden.
Streite, du gewinnst den Streit!
Deine Zeit und alle Zeit
steh´n in Gottes Händen.
Mathew West (geb. 1977)
„Broken Things“
If grace was a kingdom, I’d stopped at the gate
Thinkin‘ I don’t deserve to pass through
After all the mistakes that I’ve made
Oh, but I heard a whisper as Heaven bent down
Said, „Child, don’t you know that the first will be last
And the last get a crown“
Now I’m just a beggar in the presence of a King
I wish I could bring so much more
But if it’s true, You use broken things
Then here I am Lord, I’m all Yours
The pages of history, they tell me it’s true
That it’s never the perfect
It’s always the ones with the scars that You use
Oh, it’s the rebels and the prodigals
It’s the humble and the weak
All the misfit heroes You chose
Tell me there’s hope for sinners like me
Now I’m just a beggar in the presence of a King
I wish I could bring so much more
But if it’s true, You use broken things
Then here I am Lord, I’m all Yours
Grace is a kingdom with gates open wide
There’s a seat at the table just waiting for you
So, come on inside
Eugen Roth (1895-1976)
„Weltlauf“
Ein Mensch, erst zwanzig Jahre alt,
Beurteilt Greise ziemlich kalt
Und hält sie für verkalkte Deppen,
Die zwecklos sich durchs Dasein schleppen.
Der Mensch, der junge, wird nicht jünger:
Nun, was wuchs denn auf seinem Dünger?
Auch er sieht, dass trotz Sturm und Drang,
Was er erstrebt, zumeist misslang,
Dass auf der Welt als Mensch und Christ
Zu leben nicht ganz einfach ist,
Hingegen leicht, an Herrn mit Titeln
Und Würden schnöd herumzukritteln.
Der Mensch, nunmehr bedeutend älter,
Beurteilt jetzt die Jugend kälter,
Vergessend frühres Sich-Erdreisten:
„Die Rotzer sollen erst was leisten!“
Die neue Jugend wiedrum hält …
Genug – das ist der Lauf der Welt!
Eugen Roth (1895-1976)
„Vieldeutig“
Ein Mensch schaut in der Zeit zurück
und sieht: Sein Unglück war sein Glück!
Franz Grillparzer (1791-1872)
„Was man in der Jugend wünscht“
„Was man in der Jugend wünscht, hat man im Alter genug“,
so sagen die reichlich Begabten mit Fug;
wir aber, minderen Pfundes Verwalter,
was wir jung hatten, wünschen wir im Alter.
Ferdinand von Saar (1833-1906)
„Alter“
Das aber ist des Alters Schöne,
Dass es die Saiten reiner stimmt,
Dass es der Lust die grellen Töne,
Dem Schmerz den herbsten Stachel nimmt.
Ermessen lässt sich und verstehen
Die eig’ne mit der fremden Schuld,
Und wie auch rings die Dinge gehen,
Du lernst dich fassen in Geduld.
Die Ruhe kommt erfüllten Strebens,
Es schwindet des verfehlten Pein –
Und also wird der Rest des Lebens
Ein sanftes Rückerinnern sein.
Joseph von Eichendorff (1788-1857)
„Im Alter“
Wie wird nun alles so stille wieder!
So war mir’s oft in der Kinderzeit,
Die Bäche gehen rauschend nieder
Durch die dämmernde Einsamkeit,
Kaum noch hört man einen Hirten singen,
Aus allen Dörfern, Schluchten, weit
Die Abendglocken herüberklingen,
Versunken nun mit Lust und Leid
Die Täler, die noch einmal blitzen,
Nur hinter dem stillen Walde weit
Noch Abendröte an den Bergesspitzen,
Wie Morgenrot der Ewigkeit.
Hermann Hesse (1877-1962)
„Im Nebel“
Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
Kein Baum sieht den andern,
Jeder ist allein.
Voll von Freunden war mir die Welt,
Als noch mein Leben licht war;
Nun, da der Nebel fällt,
Ist keiner mehr sichtbar.
Wahrlich, keiner ist weise,
Der nicht das Dunkel kennt,
Das unentrinnbar und leise
Von allen ihn trennt.
Seltsam, im Nebel zu wandern!
Leben ist Einsamsein.
Kein Mensch kennt den andern,
Jeder ist allein.
Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848)
„Hoffnung“
Laß das Leben wanken,
Laß es ganz vergehn,
Über seine stillen Schranken
Will ich ernst und mutig sehn.
Findet gleich Vernunft die Wege
In dem dunklen Lande nicht:
Hoffnung kennt die Stege,
Trägt ein sichres Licht.
Wenn mich Alle lassen:
Meine Hoffnung bleibt,
Wird mich rettend dann umfassen,
Wenn mich Noth und Sünde treibt.
Ob auch Tod und Drangsal wüthe,
Ob Gewalt der Böse hat,
Herr, auf deine Güte
Bau ich meine Stadt!
Ihn muß ich beklagen,
Der die Hoffnung senkt;
Ach, wie konnte er verzagen,
Wo des Herren Wille lenkt!
All sein Trost in Schmerz und Leiden,
All sein Ruhm in Spott und Schmach
Mußte von ihm scheiden,
Da die Hoffnung brach.
Wer sie will umschmiegen
Und nicht läßt in Noth,
Spricht: o Grab, wo ist dein Siegen,
Und wo ist dein Stachel, Tod!
Keine Macht ob seinem Herzen
Hat der Trug und eitle Schein,
Und aus bittern Schmerzen
Preßt er süßen Wein.
Jesu, mich behüte,
Stärke mein Bemühn;
Ach, es war ja deine Güte,
Die die Hoffnung mir verliehn!
Wolltest du von mir dich wenden,
Alles Gute wendet sich:
Sünden ohne Enden,
Schmach und Schuld um mich!
Hast du Leid beschlossen,
Ist die Prüfung da:
Herr, ich trag es unverdrossen,
Bleibt mir deine Hoffnung nah.
Alles magst du mir entziehen,
Was mein Leben heiter macht,
Hoffnung wird mir glühen,
Wie ein Stern zur Nacht.
Willst du Freuden schicken,
O du Herr, so mild,
Willst du mir mein Leben schmücken
Mit des ird′schen Glückes Bild:
Laß mein schwaches Herz nicht offen
Seyn für diese eitle Welt;
All mein stilles Hoffen
Sey auf dich gestellt!
Wenn dann meine Stunde
Nun geschlagen hat,
Und von meinem bleichen Munde
Kaum noch tönt dein Name matt:
Ach, dann werd′ ich freudig schauen,
Wie mein Hoffen mag bestehn;
Denn ein fromm Vertrauen
Läßt nicht untergehn.
Zitiert nach: Das geistliche Jahr: nebst einem Anhang religiöser Gedichte von Annette von Droste-Hülshoff. [Illustr.:] Schnorr, J[ulius, von Carolsfeld], Cotta 1851, S.280-283 – Im Internet MDZ, Münchener DigitalisierungZentrum Digitale Bibliothek; https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10107458?page=297
Albrecht Goes (1908-2000)
„Chronik“
Geschrieben steht auf einem von den Blättern,
den arg vergilbten, mit Gelehrtenschrift,
was Andres Arnold, Roßhirt hier, betrifft,
in längst veralteten, längst blassen Lettern:
Geboren siebzehnhundertvierzig. Dann geworben
um Magdalena Kümmerle. Getraut.
Am Haus des Lebens schlecht und recht gebaut.
Elf Kinder. Früh verwitwet. Spät gestorben.
Dies ist das Leben irgendeines Mannes,
und keiner sieht mehr dieses Lebens Spur,
und unsre späten Augen finden nur
im Kinderreihen dreimal stehn: Johannes.
Nur dies. Und wissen plötzlich die Geschichte
von diesem Leben, das uns eines war,
wie alle sind, und das mit einem klar
im eignen Leide steht, im eignen Lichte:
Dreimal die Zeugungsnacht. Und dreimal schwanger.
Dreimal gebären. Dreimal erster Schrei.
Dreimal ein Kampf, wer hier der Stärkre sei:
Gott oder Roßhirt. Dreimal Totenanger.
Dreimal ein Kindergrab. Mit weißen Steinen
eingefasst. Und Blumen. Und man kann
sie sonntags sehen. Einen großen Mann
sein Weib daneben. Still, ganz ohne Weinen.
Und dreimal hier im Buch den gleichen Namen:
Johannes Arnold. Und das Kreuz besagt:
In Christi Namen schlafe, bis es tagt.
Du, warst Herr, und du bleibst der Sieger. Amen.
Zitiert nach „Der Ewige Brunnen“, C.H.Beck, S.324
Julie Miller (geb. 1956)
„All my Tears“
When I go, don’t cry for me
In my Father’s arms I’ll be
The wounds this world left on my soul
Will all be healed and I’ll be whole
Sun and moon will be replaced with the light of Jesus‘ face
And I will not be ashamed for my Savior knows my Name
It don’t matter where you bury me
I’ll be home and I’ll be free
It don’t matter, anywhere I lay
All my tears be washed away
Gold and silver blind the eye
Temporary riches lie
Come and eat from Heaven’s store
Come and drink and thirst no more
So weep not for me, my friend, when my time below does end
For my life belongs to Him, who will raise the dead again
It don’t matter where you bury me
I’ll be home and I’ll be free
It don’t matter, anywhere I lay
All my tears be washed away
unbekannt
„Grabspruch“
Gott ist wahrhaftig und gerecht,
hier ruht der Herr und auch sein Knecht,
nun ihr Weltweise, tret’t herbei
und sagt, wer Herr und Knecht da sei.







